Strafrecht: Neuorganisation im Bundesministerium für Justiz
Neue Sektion „Straflegistik“ soll Strafrechtsreformen vorantreiben, neue Sektion „Einzelstrafsachen“ die Unabhängigkeit der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaften sicherstellen
Das Justizministerium erhält eine innere Gewaltenteilung“, so Justizministerin Alma Zadić bei einer Pressekonferenz am 26.5.2020 im großen Festsaal des Justizministeriums in Wien. Zadić wird die Sektionen im Bereich Strafrecht neu organisieren. Die bisherige Sektion „Strafrecht“ wird durch zwei neue Sektionen ersetzt: eine für den Bereich „Straflegistik“ (Sektion IV), eine für den Bereich „Einzelstrafsachen“ (Sektion V).
Getrennte Bereiche: Die Sektion IV „Straflegistik“ und Sektion V „Einzelstrafsachen“
Die neue Sektion IV „Straflegistik“ wird an der Schnittstelle zur Legislative – also der Gesetzgebung – Richtung Parlament und Politik sowie Stakeholdern der Wissenschaft, Wirtschaft, Interessensvertretungen und Gesellschaft tätig sein. Sie soll die großen Reformen im Strafrecht vorantreiben.
Zu ihren Kernaufgaben zählen u.a. die Reform des Haupt- und Rechtsmittelverfahrens, die Überarbeitung des materiellen Strafrechts, sowie andere Projekte wie die Neuregelungen im Bereich der Korruptionsbekämpfung, die Modernisierung des Strafvollzugsgesetzes sowie die Reform des Maßnahmenvollzugs und die Neuregelung zum Schutz vor Gewalt und Hass im Netz samt Stärkung des Opferschutzes.
Die neue Sektion V „Strafsachen“ soll die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und ihrer Ermittlungsarbeit in Strafverfahren sichern. Ihr obliegt die Fach- und Dienstaufsicht über alle Staatsanwaltschaften in Österreich, die Neuregelung und Verringerung der Berichtspflichten, die Unterstützung bei der Strukturierung und Organisation von Großverfahren, womit ihr auch eine wesentliche Rolle bei der Beschleunigung von Verfahren zukommt – wie dies auch im Regierungsprogramm verankert ist.
Justizministerium in Sonderrolle: Strafrecht als Indikator für funktionierenden Rechtsstaat
Das Justizministerium hat als Teil der Exekutive eine Sonderrolle im Gleichgewicht der Gewaltenteilung der Demokratie: Einerseits ist es, wie andere Ministerien auch, im Bereich der Legistik Schnittstelle zu legislativen Belangen – also in Richtung Parlament – und arbeitet bei Entwürfen für neue Gesetze mit anderen Institutionen der Republik und wichtigen Stakeholdern von Wissenschaft, Wirtschaft, Interessenvertretungen und Gesellschaft zusammen.
Andererseits ist das Justizministerium auch Schnittstelle zur Judikative – also in Richtung der unabhängigen Gerichtsbarkeit. Dies betrifft in besonderem Maße die Fach- und Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaften, die in politisch oder wirtschaftlich brisanten Verfahren auch in einflussreiche Bereiche der Republik hinein ermitteln müssen.
Bisher wurden im Bereich des Strafrechts beide Funktionen – die Straflegistik und die Einzelstrafsachen – von ein- und derselben Sektion im Ministerium wahrgenommen. Das kann zu einer Anscheinsproblematik etwaiger Unvereinbarkeiten führen, in die Beamtinnen und Beamte gar nicht erst gebracht werden sollten.
„Innere Gewaltenteilung“: Unabhängigkeit der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsarbeit sichern
„Das Strafrecht ist ein Schlüssel für das Vertrauen in die Justiz und ein Schlüssel für das Vertrauen in den Rechtsstaat“, so Zadić. „Besonders dort, wo staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und gerichtliche Strafprozesse in politischen und wirtschaftlichen Bereichen stattfinden, ist es für die Bürgerinnen und Bürger ein wichtiger Indikator für einen funktionierenden Rechtsstaat, ob für alle die gleichen Regeln gelten – ohne Ansehen der Person“, so die Justizministerin.
Daher würden die zugehörigen Strukturen im Justizministerium neu organisiert: Es reiche nicht nur, dass immer alles ganz korrekt ablaufe; es dürfe vielmehr nicht einmal der Anschein entstehen, dass es anders sein könnte, so Zadić. Um das gewährleisten zu können, brauche es auch die richtigen Rahmenbedingungen – und somit eine „innere Gewaltenteilung“ im eigenen Haus.
Von Expertinnen und Experten sowie vom Europarat empfohlen
Mit der Teilung in „Straflegistik“ und „Einzelstrafsachen“ haben sich auch führende Strafrechtler*innen in Österreich immer wieder befasst, und gelangten stets zu entsprechend übereinstimmenden Ergebnissen. Auch der Europarat empfiehlt in den Ergebnissen seiner Venedig-Kommission die Staatsanwaltschaften weitestgehend von politischen Prozessen zu distanzieren.
Mit der Neu-Organisation der beiden neuen Sektionen wird auch eine Ausschreibung der jeweiligen Leitungsfunktionen nötig. Der gesamte Prozess soll bis Herbst 2020 abgeschlossen sein.