Modernes Kartellrecht in Österreich Bundeskartellanwalt präsentiert Tätigkeitsbericht 2022
Die Bundeskartellanwältin bzw. der Bundeskartellanwalt (BKAnw) wurde mit der Kartellgesetznovelle 2002 im Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) eingerichtet. Somit haben die Bundes- wettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt die Sozialpartner als primäre Aufgriffsorgane im Kartellrecht abgelöst. Seit mehr als 20 Jahren ist es damit die Aufgabe der neuen Amtsparteien, Verstöße gegen das Kartellrecht vor das Kartellgericht zu bringen. Die gesetzliche Aufgabe ist die Vertretung der öffentlichen Interessen in Angelegenheiten des Wettbewerbsrechts beim Kartellgericht. Zur Vermeidung von Doppelbelastungen für die Unternehmen kommt dabei der Bundeswettbewerbsbehörde die alleinige Ermittlungskompetenz zu. Der Bundeskartellanwalt vertritt als Korrektiv im Rahmen eines Vier‐Augen‐Prinzips die öffentlichen Interessen und sichert den gesetzmäßigen Vollzug ab. Angesichts von Geldbußen im zweistelligen Millionenbereich und der Überprüfung von noch größeren Unternehmensfusionen ist eine derartige institutionelle Absicherung der Gesetzmäßigkeit unumgänglich. Neben seiner Tätigkeit im Kartellrecht ist der BKAnw für das kartellrechtliche Kronzeugenverfahren im Strafverfahren (§ 209b StPO) und die EU-Verbraucherbehördenkooperation zuständig.
Kartellrechtliche Kronzeugen im Strafverfahren ‐ Bundeskartellanwalt bestätigte Mitarbeiter:innen von drei Unternehmen als kartellrechtliche Kronzeugen für Strafverfahren
In diesem Tätigkeitsbereich entscheidet der Bundeskartellanwalt, ob eine Weiterführung von Strafverfahren gegen Mitarbeiter:innen von Kronzeugenunternehmen unverhältnismäßig wäre. Im Strafrecht bedeutet dies, dass der BKAnw entscheidet, ob Verfahren gegen Mitarbeiter:innen von Kronzeugenunternehmen – etwa wegen Absprachen bei Vergabeverfahren (§ 168b StGB) – einzustellen sind. Er prüft dabei, ob eine strafrechtliche Verfolgung aufgrund des Gehalts und Neuigkeitswerts der Kronzeugenerklärung bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BwB) im Hinblick auf Verhältnismäßigkeit gegeben ist.
Diese Prüfung wurde im Jahr 2022 bei einem Unternehmen, das als Kronzeuge an der Aufklärung des Baukartells mitgewirkt hatte, und bei zwei Unternehmen, die als Kronzeugen bei der Aufdeckung des Tischlereikartells mitgewirkt hatten, vorgenommen. In allen drei Fällen wurde die Wirtschafts‐ und Korruptionsstaatsanwaltschaft verständigt, das Strafverfahren gegen die Unternehmensmitarbeiter:innen einzustellen.
Kartellverfolgung
BKAnw und BWB arbeiten insbesondere bei „Settlement‐Verhandlungen“ in großen Kartellfällen regelmäßig zusammen. So wurden zB im Baukartell Settlements mit der HABAU (Geldbuße: € 26,33 Mio.) und der Swietelsky (Geldbuße: € 27,15 Mio.) abgeschlossen. Die mit der PORR (Geldbuße: € 62,35 Mio.) im Jahr 2021 verhandelte Geldbuße wurde durch das Gericht bestätigt und in der Ediktsdatei veröffentlicht. Weiters unterstützte der BKAnw die BWB bei der Wiederaufnahme eines Geldbußenverfahrens gegen die STRABAG. Dem Verfahren liegt ein behaupteter Verstoß gegen die Kronzeugenregelung zugrunde. Nach Zurückweisung des Antrags der BWB durch das Kartellgericht erhob auch der BKAnw einen Rekurs, dem der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht stattgab. Das Verfahren über die Geldbuße ist daher weiterzuführen.
Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen
Nur der Bundeskartellanwalt und die Bundeswettbewerbsbehörde können Anträge zur Prüfung von Zusammenschlüssen vor dem Kartellgericht stellen. Bei den über 300 im Jahr 2022 geprüften Zusammenschlüssen stellte der BKAnw drei Prüfungsanträge von Zusammenschlüssen im Recyclingbereich an das Kartellgericht. Die Stellung des Prüfungsantrages im Verfahren „Digi‐Cycle I“ bewirkte die Zurückziehung der Anmeldung. Im Verfahren „Digi‐Cycle II“ konnte mit Auflagen verhindert werden, dass ein Gemeinschaftsunternehmen der ARA AG, dem österreichischen Marktführer bei Sammel- und Verwertungssystemen für Verpackungen, und dem Entsorgungsunternehmen Saubermacher auch hoheitliche Aufgaben einer „Registrierungsstelle für Unique‐Codes“ übernimmt. Im Zusammenschlussverfahren „Altholz‐Recycling Pölzleitner“ konnte durch Auflagen sichergestellt werden, dass die für das Altholz‐Recycling notwendigen und knappen Holzlagerplätze vor Ort auch Dritten gegenüber geöffnet wurden. Zudem nahm der BKAnw zahlreiche Aufgaben in seiner Funktion als zuständige Behörde nach dem Verbraucherbehördenkooperationsgesetz wahr.
Frau Bundesministerin Dr. Alma Zadić dazu: „Mein Dank gilt dem Bundeskartellanwalt und seinem Team für ihre hervorragende Arbeit und ihren großen Einsatz gegen Kartelle und insbesondere überhöhte Preise durch illegale Absprachen. So leisten sie seit mehr als 20 Jahren einen wichtigen Beitrag zur Preis‐ und Marktgerechtigkeit und damit zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor unfairen Geschäftspraktiken.“
Der vollständige Tätigkeitsbericht des BKAnw ist auf seiner Website abrufbar:
https://www.justiz.gv.at/justiz/justizbehoerden/bundeskartellanwalt.36c.de.html
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